Rhetorik - Ein Wort hat ausgedient

Rhetorik - Ein Wort hat ausgedient

Auf die Frage "Welche Art von Musik macht ihr?" antworten Bands oft: "Wir wollen in keine Schublade gesteckt werden, wir machen eine eigenen Stil." Einerseits kann ich das verstehen, wir wollen ja alle individuell und einzigartig sein, andererseits finde ich es schade, denn bevor ich mich für eine Sache (Band, Comedian, Buch) entscheide, will ich ungefähr wissen, in welche Richtung es geht, ob ich mir davon - im Falle einer Band - etwas anhören möchte.

Wenn MICH jemand fragt: "Was machst du beruflich?" antworte ich: "Ich bin Rhetoriktrainer." Zack -Schublade auf - zack - Schublade zu. Dieser Begriff gibt  eine ungefähre Richtung vor, von dem was ich mache. Manchmal sage ich auch "Storytellingtrainer" weil das more fancy klingt (Englisch schlägt Latein. Es gibt viele englische Bandnamen wie The Lords oder Guns 'n' Roses aber wenige Gruppen die lauten Praecops Cumulus).

Tatsächlich würde ich lieber einen anderen Begriff verwenden als "Rhetoriktrainer", denn wie in der Überschrift bereits gespoilert, mag ich das Wort nicht. Wenn ich "Rhetorik" höre, sehe ich die Merkel-Raute vor mir, ich sehe Anzugträger mit Manschettenknöpfen, die eloquent kantenlos-geschliffene Worthülsen von sich geben, die ihre Körpersprache unter Kontrolle gebracht haben, wie der deutsche Rentner seinen Vorgarten: akkurat, unkrautfrei, rechtwinklig, tot.

Was Rhetorik angeht, komme ich von einer anderen Richtung. ich bin Stand-up-Comedian, bei jedem meiner Auftritte war der Job: Bring die Leute zum Lachen! Und die Leute lachen nur, wenn sie dir zuhören. Und sie hören dir nicht zu, das kann ich aus der Erfahrung von über 1.000 Auftritten sagen, wenn du mit perfekter, rundgelutschter Eloquenz und Raute auf der Bühne stehst. Die Leute hören dann zu, wenn du all-in gehst, wenn du deine wahre Persönlichkeit ins Publikum drückst, wenn du die "Hosen runterlässt", wenn du stark, natürlich und ehrlich bist.

Die Menschen wollen keine kalte Perfektion, sie wollen den fehlerhaften Menschen sehen, in seiner ganzen Unvollkommenheit, seinen Schwächen, Wünschen und Ängsten. Sie wollen bei Redenden seine individuelle Sicht auf die Welt sehen, in seiner eigenen Sprache. Auch im Business bei Vorstandsreden, Team-Präsentationen oder Verkaufsgesprächen.

Rhetorik nimmt dich, vom Wort her schon, weg von deiner Natürlichkeit, denn es ist ein Fremdwort, lateinisch. Mein türkischer Gemüsehändler meinte neulich: "Ihr Deutschen habt so schöne Fremdwörter wie prädestiniert." Und ich antwortete: "Ja, haben wir, aber diese Wörter klingen auch immer etwas abstrakt und oft benutzen Menschen lateinische Fremdwörter um ihren vermeintlich hohen Bildungsstand zu demonstrieren." Bei mir ist es so: fünf Fremdwörter in vier Sätzen und ich schlafe ein. Unmittelbar. Ich nicke nach vorne und kippe um.

Also, ja, ich bin Rhetoriktrainer und gebe Rhetorik-Trainings, ich zeige ihnen, wie sie besser reden, aber was ich wirklich mache: Ich bringe die Menschen in ihrem Reden zu sich selbst. Ich räume alles Künstliche, alles falsch Antrainierte weg, schiebe den ganzen Ballast beiseite und lege die wahre Persönlichkeit frei. Im Grunde bin ich Baggerfahrer, ich fahre deinen unnatürlichen Müll auf die Schutthalde. Das wäre auch eine schönere Antwort auf die Frage "Was machst du beruflich?" - "Ich bin Baggerfahrer, ich buddel deine Seele aus!"

Allerdings klingt das auch etwas esoterisch, also bleiben wir dabei, Schublade auf: "Ich bin Rhetorik-Trainer - mit Bagger."

 

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